"Der Fußball bot keine Überlebensgarantie" (2024)

Ausstellung "Fußball im KZ Sachsenhausen" - "Der Fußball bot keine Überlebensgarantie"

Do 27.06.24 | 12:12 Uhr

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"Der Fußball bot keine Überlebensgarantie" (1)

    "Fußball im KZ Sachsenhausen" heißt eine Ausstellung der dortigen Gedenkstätte während der Fußbal-EM. Mitarbeiterin Paula Santana erklärt im Interview, wie Sport von den Nationalsozialisten eingesetzt wurde und was er für die Häftlinge bedeutete.

    rbb|24: Paula Santana, während der EM gibt es in Ihrer Gedenkstätte eine besondere Führung mit dem Titel "Fußball im KZ Sachsenhausen". Was hat es damit auf sich?

    Paula Santana: Es handelt sich um eine Überblicksführung mit einer eigenen Ausstellung, die das Thema Fußball im ehemaligen Konzentrationslager behandelt. Die Rolle des Sports inmitten der schrecklichen Realität des Lagers soll erkundet werden. Es ist ein Angebot für Fußball-Fans, aber auch andere interessierte Besucher.

    Zur Führung

    Überblicksführung "Fußball im KZ Sachsenhausen"

    Während der EM, immer sonntags - 11 Uhr englisch, 14 Uhr deutsch

    Empfohlenes Alter: ab 14 Jahre

    Kosten: 3 Euro

      Welche Rolle spielte der Sport - speziell der Fußball - im Leben der Häftlinge?

      Das ist ganz unterschiedlich. Sport wurde häufig als Propagandamittel genutzt, aber auch als Strafe oder Ablenkung für die Häftlinge. Für die zuschauenden Häftlinge hatte der Fußball zudem eine ganz andere Bedeutung als für die Häftlinge, die spielen durften. Es ging da auch um den Erhalt besserer Lebensmittelrationen und Lebensbedingungen. Der Fußball bot allerdings keine Überlebensgarantie. Spielen durfte, wer überhaupt noch körperlich in der Lage war.

      Im Lager wurden sogar regelmäßig größere Turniere ausgerichtet.

      Ja, vor allem nach der Kriegswende 1942. Damals gab es für Deutschland im Krieg die ersten großen Niederlagen. Die Rückschläge für die Nationalsozialisten bedeuteten, dass die Rüstungsproduktion hochgefahren wurde. Da viele Männer nicht mehr als Arbeitskräfte in den Fabriken zur Verfügung standen, wurden immer mehr KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter herangezogen. Bei den Fußball-Turnieren ging es dann um Erholung und Motivation für die Häftlinge. Es wurde sich eine Strategie überlegt, wie die Rüstungsproduktion und die Arbeitsmoral der Häftlinge hochgehalten werden konnte. Üblicherweise wurden deshalb an Sonntagen Fußballspiele ausgerichtet, aber beispielsweise auch Theateraufführungen veranstaltet. Neben dem Fußball gibt es zudem Berichte über Boxen, Leichtathletik, Wrestling, Basketball oder Volleyball im Lager.

      • imago images/Jürgen Heinrich

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      Wie liefen die Turniere ab?

      Die Häftlingsgesellschaften, also die verschiedenen Arbeitskommandos und Nationen, haben sich untereinander sehr gut organisiert und die Turniere - mit Zustimmung der Lagerleitung - ausgerichtet. Nach 1942 geschah das aus den oben genannten Gründen regelmäßig. Bei der Organisation ging es auch um ganz banale Dinge: Viele Häftlinge hatten keine Schuhe, es musste also ein Kontakt in die Effektenkammer hergestellt werden, um Schuhe, Trikots oder Bälle zu beschaffen. Das war eine Mischung aus Tauschhandel und kleineren Diebstählen.

      Und für den Gewinner gab es einen Pokal, gefertigt aus einer Handgranate.

      Der Pokal stammt aus einem KZ-Außenlager in Falkensee. Dort spielten norwegische, polnische, französische und deutsche Häftlinge in Mannschaften gegeneinander. Diesen schweren Pokal trugen zwei norwegische Häftlinge anschließend abwechselnd zurück ins KZ Sachsenhausen. Sie hatten den Pokal an einer Schnur um ihre Hälse. Nach der Befreiung des Lagers nahmen sie ihn sogar mit nach Norwegen. Heute ist der Pokal in unserer Austellung zu sehen, nachdem er im Büro des norwegischen Fußballvereins ehemaliger Sachsenhausen-Häftlinge wiedergefunden wurde. Erst 2006 wurde er an die Gedenkstätte übergeben.

      Vielen Dank für das Gespräch.

      Das Interview führte Jonas Bürgener.

      Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 18.06.24, 19:30 Uhr

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      1. 2.

        Antwort auf [Geschichte ] vom 27.06.2024 um 13:15

        Stimmt schon, aber irgendwann sollte auch nach vorne geblickt werden.

      2. 1.

        Tja, und trotzdem lernt man nie dazu und alles fängt wieder von vorne an.
        Aber trotzdem gut, dass ab und zu solche Artikel erscheinen. Vielleicht versteht der ein oder andere ja irgendwann, wie es war damals Opfer zu sein.

        Das Trauma für die Opfer und deren Nachfahren bleibt über mehrere Generationen erhalten.
        Diese unvorstellbare Zäsur der Menschlichkeit wirkt bei uns schon in der vierten Generation nach.

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